Fotoprojekt Lankow – Silhouetten aus einem geschleiften Dorf
2020 habe ich mich mit einem besonderen Fotoprojekt beschäftigt:
Einstige Bewohner der Wüstung Lankow sollten im heutigen Umfeld ihres damaligen Dorfes als verfremdete Silhouetten wieder auferstehen – allerdings nicht wie dunkle Schatten, sondern hell reflektierend.
Im Zuge der Grenzsicherung hatten die DDR-Behörden mehrere Dörfer zwangsumgesiedelt und geschleift. Lankow gehörte dazu. Inzwischen hat sich die Natur zurück geholt, was ihr die Menschen überließen.
Die Figuren auf meinen Bildern stammen aus Fotoalben von ehemals Lankower Familien. Bedingung war, dass die Personen nicht zu erkennen sind. Deshalb wurden nur die reinen Umrisse aus den alten Fotos vergrößert, auf Pappe übertragen und mit Reflexionsstoff bezogen.
Vor Ort habe ich die Silhouetten aufgestellt und mit Blitz fotografiert.
Zu jedem Bild wurden weitere Aufnahmen ohne Figuren vom selben Standpunkt aus mit unterschiedlichen Brennweiten und aus mehreren Perspektiven gemacht – verschiedene Sichtweisen vom gleichen Ort.
Durch Überlagerung am Computer und anschließender Verfremdung habe ich versucht, die unwirkliche Stimmung von Situation und vergehender Zeit hervorzuheben.
Am 26. September 2020 waren die Bilder auf Leinwand beim Klosterverein Rehna zu sehen.
Am 07. August 2021 folgte eine zweite Ausstellung im Gemeinschaftshaus Dechow.
Hintergrund und Vorgehensweise
Wo früher einmal Menschen lebten, singt heute der Pirol …
Die heutige Wüstung Lankow war einmal ein Dorf nahe Dechow und lag idyllisch auf einer Halbinsel am See.
Im Zuge der Grenzsicherung wurden die Bewohner jedoch ab 1952 zwangsumgesiedelt und die Gebäude 1976 abgerissen. Ähnlich verfuhren die DDR-Behörden mit vielen weiteren Dörfern in Grenznähe.
Für mich war das Gebiet lange Zeit einfach ein idyllischer Ort zum Spazierengehen mit erstaunlich vielen seltenen Vögeln. Feldlerchen singen über dem hohen Gras, ich habe Neuntöter und Braunkehlchen entdeckt, und 2020 konnte man sogar Pirole hören.
Ein bisschen gewundert habe ich mich schon, wenn hier und da ein Flieder blühte, im Dickicht Narzissen wuchsen und manche der knorrigen Bäume Äpfel trugen.
Erst nachdem 2009 ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Lankow, 1209–1976, Geschleift“ aufgestellt worden war, wurde mir bewusst, dass hier Menschen gelebt hatten, die ihr Dorf unfreiwillig verlassen mussten. Seitdem waren die Leute von Lankow imaginär zugegen. Ich stellte mir vor, wie sie umhergingen, Felder bestellten, im See badeten und Zukunftswünsche hegten, die sich in Lankow nie erfüllen konnten.
So entwickelte sich bei mir der Wunsch, die Menschen von damals in der heute naturgeprägten Landschaft zu visualisieren um ihnen, stellvertretend für all die anderen Betroffenen, noch einmal eine Bühne zu geben.
Dabei ging es mir nicht um eine sachliche Geschichts-Dokumentation, sondern eher um eine künstlerische Interpretation, die vielleicht bei einzelnen Betrachtern emotionales Interesse wecken kann.
Die einstigen Bewohner von Lankow sollten im heutigen Umfeld ihres damaligen Dorfes als Silhouetten sichtbar werden – allerdings nicht als dunkle, bedrohliche Schatten, sondern im Gegenteil, sie sollten hell sein und reflektieren.
Bei der Recherche und der Suche nach entsprechenden alten Fotos gilt mein besonderer Dank den Brüdern Benn, die mir Einblick in ihre Familiengeschichte gewährten, von lustigen und verstörenden Kindheitserinnerungen erzählten und mir viele ihrer privaten Bilder zur Bearbeitung überließen.
Weiteres Material stammt vom Grenzhus in Schlagsdorf, sowie aus der Sammlung von Frau von Puttkamer aus Dechow.
Making off
Alle in diesem Projekt dargestellten Figuren stammen aus den alten Fotoalben von Lankower Familien.
Allerdings gab es die Prämisse, dass die Personen nicht zu erkennen sein dürfen. Deshalb wurden nur die reinen Umrisse aus den alten Fotos genutzt.
Diese wurden im Computer freigestellt, auf Din-A4 Papier vergrößert und ausgeschnitten.
Mit einem Overheadprojektor konnte ich die Figuren dann auf große Papptafeln übertragen, die ebenfalls ausgeschnitten wurden.
Nach mehreren Versuchsreihen habe ich die Pappen mit Reflektionsstoff bezogen, der z. B. für Warnwesten verwendet wird. Das Material reflektiert nicht nur Autoscheinwerfer sondern auch den Kamerablitz.
Vor Ort in Lankow assistierte mir mein Mann beim Aufstellen und Arrangieren der Figuren, die ich mit Blitz fotografierte.
Wir waren häufig dort, in Abständen von mehreren Tagen und bei unterschiedlichen Wetterbedingen. Manchmal haben wir sogar die genaue Stelle gefunden, an der ein altes Foto aufgenommen worden war. Von Haus im Hintergrund des Fotos existierten allerdings nur noch Fundamentreste.
Von jedem Fotopunkt habe ich weitere Bilder ohne die Figuren gemacht, aus unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Brennweiten.
Die Endbearbeitung fand am Computer statt. Durch Verfremdung und Überlagerungen mit den Fotos vom gleichen Standpunkt aus, habe ich versucht, das Unwirkliche der Situation hervorzuheben und die jeweilige Stimmung herauszuarbeiten.
Wüstung Lankow (Geschichte)
Das Dorf Lankow lag auf einer Halbinsel am Lankower See auf dem Gebiet der Gemeinde Dechow.
Auf der schmalen Straße zum Dorf ist noch Kopfsteinpflaster zu sehen. 2009 wurde ein symbolisches Ortsschild aufgestellt. Der weitere Weg führt durch die Wiesen hinunter zum ursprünglichen Ortskern. Hier findet sich ein Gedenkstein und eine Schautafel, auf der die Lage der damaligen Höfe eingezeichnet ist. Außerdem wurden von ehemaligen Einwohnern zur Erinnerung sechs Linden gepflanzt.
Inzwischen gehört der Lankower See zum Biosphärenreservat Schaalsee. Die artenreichen Wiesen werden von Schafen beweidet, das Ufer ist bewaldet.
Nun leben hier Kraniche, Seeadler, Braunkehlchen, Feldlerchen, Neuntöter … und 2020 sogar der Pirol. Mauerreste und rostige Metallstangen, Obst- und Ziergehölze sowie vereinzelte Gartenblumen lassen in der idyllischen Landschaft auf die einstige Dorfgemeinde schließen.
Nach den Ergebnissen von Ausgrabungen muss die Gegend bereits vor 10.000 Jahren besiedelt gewesen sein.
• Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1209 (Erlass des Ratzeburger Bischofs).
• 1312 verkaufte die Familie von Ritzerow Klein Lankow an das Ratzeburger Domkapitel. 1370 ging auch Groß Lankow in dessen Besitz über.
• Klein Lankow wurde während des Dreißigjährigen Kriegs zerstört, auch in Groß Lankow gab es 1644 nur noch drei Bauernstellen.
• Im Laufe der Zeit wuchs der Ort wieder auf drei Bauernstellen, fünf Büdnereien und drei Katen an. Sogar eine kleine Zwergschule existierte von 1869 bis 1938.
• Von 1942 bis 1946 erhöhte sich die Einwohnerzahl durch Ansiedlung von Flüchtlingen von 59 Personen auf über 100.
• 1952 ordnete die DDR-Regierung unter dem Decknamen „Ungeziefer“ die erste Zwangsumsiedlung von unliebsamen Bürgern in grenznahen Lagen an – das betraf auch Lankow.
• 1961 folgte die zweite Zwangsumsiedlung unter dem Decknamen „Kornblume“. In den kommenden Jahren mussten auch die restlichen Einwohner das Dorf verlassen.
• 1973 wurde der Ort gänzlich abgerissen. Um freies Sicht- und Schussfeld an der Grenze zu gewinnen, wurden alle störenden Bäume gefällt und mit dem geamten Schutt im See entsorgt.
• Von 1976 bis 1990 galt Lankow als Sperrgebiet mit entsprechenden Grenzsicherungsanlagen samt Todesstreifen bis in den See hinein.
Zwangsumsiedlung heute
Umsiedlungen unter Zwang sind leider nicht nur tragische Geschichte.
Laut der „Bundeszentrale für politische Bildung“ war 2017 jeder 110. Mensch weltweit aus unterschiedlichen Gründen von Flucht und Vertreibung betroffen. Die Auswirkungen für den Einzelnen bedeuten immer Entwurzelung sowie die Herausforderung eines Neuanfangs in unbekannten Gefilden.
Heimat ist eben nicht nur eine komfortable Unterkunft, sondern umfasst Verlässlichkeit auf gewachsene und erfahrene Strukturen, Lieblingsplätze, Kenntnis der Umgebung, gemeinsame Erlebnisse, Rückhalt in Familie und Nachbarschaft …
Auch in Deutschland werden noch Dörfer und Kleinstädte geschleift. Z. B. ist 2000 das Ende des Braunkohleabbaus längst beschlossen, aber Geisterstädte werden weiter verursacht und alle Folgen für die betroffenen Menschen in Kauf genommen (u. a. in der Umgebung Garzweiler).